Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund sind Alltag in Ostdeutschland
Die derzeitigen Ereignisse in Chemnitz sind insbesondere für die in Ostdeutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund besorgniserregend. Sie offenbaren, wie gut organisiert und mobilisierungsfähig die rechte Szene seit langem ist und machen deutlich, wie wenig ihnen Polizei, staatliche Behörden und nicht zuletzt auch Politiker*innen entgegensetzen können und wollen. Denn obwohl die Strukturen und das daraus hervorgehende Gefahrenpotential rechter und rechtsextremer Gruppierungen in Ostdeutschland, und leider besonders konzentriert in Sachsen, seit nunmehr fast 30 Jahren bekannt sind, wurde das Problem immer wieder kleingeredet und nur halbherzig angegangen. In Freital, Heidenau, Clausnitz oder Bautzen gab es in den vergangenen zwei Jahren ähnliche Vorfälle der Jagd auf Menschen mit Migrationshintergrund, ohne dass dies wirkliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Nun wird auch in einer großen Stadt unverhohlen Gewalt gegen diese Menschen ausgeübt.
„Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund sind in Ostdeutschland leider schon lange schrecklich alltäglich“, so Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Dachverbands der Migrantenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst). Neu an der Situation ist jedoch, dass Rechte und Rechtsextreme zunehmend ihre Hemmungen verlieren und auch am hellichten Tag und vor Zeug*innen gewalttätig werden, da von staatlicher Seite zu- und weggeguckt wird: „Da ihnen in jüngerer Vergangenheit sowohl seitens der Justiz als auch der Politik wenig entgegengesetzt wurde, wähnen sie sich zunehmend auf der sicheren Seite“. Hinzu komme, „dass sie sich durch Äußerungen rechter Politiker*innen mitunter sogar dazu aufgerufen und motiviert fühlen, Menschen anderer Herkunft anzugreifen“, so Mohamad weiter. Rubén Cardenas, zweiter Geschäftsführer von DaMOst, betont, dass es entgegen dem Bild, welches rechte Parteien und Bewegungen zeichnen, „überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund sind, die Opfer von Gewalttaten durch rechtsextreme Deutsche werden und nicht etwa umgekehrt“. Die Zahlen diesbezüglich sind eindeutig und die Tendenz eher steigend. „Wenn die Situation sich nicht ändert, muss man Migrant*innen davon abraten, nach Ostdeutschland zu kommen“, so Cardenas weiter. Dabei ist man aufgrund der demographischen Situation in den ostdeutschen Bundesländern doch dringend auf Zuwanderung angewiesen und „sollte Migrant*innen mit offenen Armen empfangen, anstatt sie zu verjagen“.
DaMOst fordert, dass die Vorfälle in Chemnitz endlich zum Anlass genommen werden, um das Problem der jahrzehntelang gewachsenen strukturellen Ausländerfeindlichkeit in den ostdeutschen Bundesländern anzugehen. Es braucht ein Eingeständnis, dass man die Problematik viel zu lange marginalisiert hat sowie ein klares Bekenntnis aller staatlichen Bediensteten zu den Werten des Grundgesetzes, zu Demokratie und Weltoffenheit. Rechte Straftäter*innen müssen mit aller Härte des Gesetzes verfolgt und Menschen mit Migrationshintergrund dort, wo es nötig ist, aktiv geschützt werden. Auch müssen die Initiativen, Organisationen und Bündnisse, die sich für ein friedliches Miteinander und den gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen, viel stärker unterstützt werden. Denn es geht um nicht weniger, als die Verteidigung und Bewahrung einer offenen und solidarischen Gesellschaft.