Vom unsichtbaren Königreiche

Ein bisschen abseits vom Dorf stand ein Haus, indem ein junger Bauer namens Jörg mit seinem alten Vater wohnte. Dahinter waren Felder und Bäume. Vor dem Haus war ein Mühlstein, auf dem Jörg oft saß, wenn er mit der Feldarbeit fertig war. Jörg war still und in sich gekehrt und träumte oft auf dem Mühlstein. Deshalb nannten ihn die Leute im Dorf den Traumjörge. Das war ihm aber egal. Dann starb der Vater und Jörg begrub ihn unter der alten Eiche. Dann wurde Jörg immer stiller und saß stundenlang auf dem Mühlstein. Abends fingen der Fluss zu singen an und auch die Sterne. Der alte Eichbaum, wo der Vater begraben war, wusste auch viel zu erzählen.
Die Leute im Dorf waren ganz gewöhnliche Leute und deshalb verstanden sie den Traumjörge nicht, wenn er ihnen etwas anderes erzählen wollte. Als er einmal auf dem Mühlstein saß, träumte er von einer Prinzessin, die auf einer Schaukel saß, die bis zum Himmel reichte und ihm immer eine Rose schenkte, wenn sie unten war. Als er aufwachte lag neben ihm ein ganzer Strauß Rosen.
Eines Tages machte er sich auf, die Prinzessin zu suchen. Er ging durch einen Wald und hörte auf einmal ein Wimmern und Stöhnen. Als er auf die Stelle zukam, sah er einen alten Greis, auf dem zwei hässliche nackte Kerle knieten und ihn erwürgen wollten. In seiner Todesangst nahm er einen großen Ast und erschlug die zwei Kerle. Er hob den Greis auf und tröstete ihn. Der Alte erzählte Jörg, er sei der König der Träume und aus Versehen ein Stück in das Königreich des Königs der Wirklichkeit gekommen. Im Königreich der Wirklichkeit gehen alle Leute nackt, selbst der König. Es ist ein abscheuliches Volk. Weil du aber mein Leben gerettet hast, will ich mich dankbar dir gegenüber erweisen und dir mein Land zeigen, indem die Träume meine Untertanen sind. Dann kamen sie an eine Türe, die so versteckt im Busch lag, dass man sie nicht finden konnte, wenn man es nicht wusste. Sie gingen 500 Stufen hinunter zu einer Grotte. Da waren Seen mit Inseln mit herrlichen Schlössern, in die man eintreten konnte. Es waren auch Schlösser in der Luft, in die man auch eintreten konnte. Es waren auch Gärten da mit herrlichen Blumen, Vögel, die Märchen erzählten und eine Menge anderer Sachen.

Dann erzählt der König von seinen Untertanen, den Träumen. Er hat davon drei Sorten. Gute Träume für die Guten, böse Träume für die Bösen und Traumkobolde, mit denen er Späße macht. Danach führte der König ihn in das Schloss, wo die Traumkobolde wohnen. Er erzählt ihm, was die Traumkobolde alles für Späße mit den Menschen machen. Daraufhin führt der König ihn in einen Raum, wo die bösen Träume wohnen und lässt von bösen Träumen erzählen.

Dann führt der König ihn in einen prächtigen Garten, wo die guten Träume spazieren gingen. Da sieht er eine blasse Frau, die eine Arche Noah und einen Baukasten unterm Arm hat. Die geht immer zu einem kranken Jungen, dem die Mutter gestorben ist. Plötzlich schreit Jörg laut auf, weil er seine Prinzessin wiedersieht, die ihm Rosen geschenkt hat. Sie sagt, dass sie ihm immer den hübschesten Traum geschickt hat. Danach läuft der Jörg auf die Prinzessin zu, die gerade schaukelt und sie springt ihm direkt in die Arme. Er nahm sie an die Hand und setzt sich mit ihr auf eine goldene Bank. Sie hatten sich sehr viel zu erzählen.
Der König geht nur auf und ab. Dann sagt er zu Jörg, dass er jetzt gehen muss, weil er keine Betten hat und zu der Prinzessin, was sie heute Nacht tun muss. Daraufhin fasst Jörg allen Mut zusammen und sagt, dass er seine Prinzessin nie wieder loslässt, dazu hat er sie viel zu lieb.
Entweder er muss hier unten bleiben oder er nimmt seine Prinzessin mit auf die Erde. Dabei trat in jedes Auge eine große Träne.

Der König sagt, weil er ihm das Leben gerettet hat, soll es so sein. Er kann seine Prinzessin mit auf die Erde nehmen. Hier soll er ihr den Schleier abnehmen und ihn zum König zurückwerfen. Dann wird die Prinzessin ein Menschenkind aus Fleisch und Blut sein. Er bittet den König noch um ein Königreich, wenn es auch nur ein kleines ist, weil doch eine Prinzessin nicht ohne ein Königreich sein kann.
Daraufhin erwidert der König, dass er ihm ein sehr herrliches unsichtbares Königreich schenken will. Der Jörg fragt, was ihm ein unsichtbares Königreich bringen kann. Da tippt sich der König an die Stirn. Ihr seht die schönsten Schlösser, Gärten und Blumen, geht darin spazieren und seit glücklich. Nur die anderen Leute sehen es nicht.

Überglücklich steigt Traumjörge mit seiner Prinzessin die fünfhundert Stufen hinauf, nimmt ihr den Schleier ab und die Tür fällt zu. Das gibt einen lauten Knall. Die Prinzessin ist jetzt aus Fleisch und Blut und hält seine Hand und streichelt sie. Du hast dich so lange nicht getraut, mir zu sagen, wie lieb du mich hast. Plötzlich fällt ein Tuch vom Himmel, als sie so sitzen und erzählen. Als sie das Tuch endlich auseinandergefaltet haben, war es eine große Landkarte. In der Mitte verlief ein Fluss und drum herum waren Städte und Dörfer.

Da merkten sie, dass es ein Königreich war und dass der gute König es ihnen herab geworfen hatte. Ihr Haus war zu einem wundervollen Schloss geworden. Dann gingen sie hinein und ihre Untertanen waren auch da. Plötzlich waren sie König und Königin. Am anderen Morgen verbreitete es sich wie ein Lauffeuer im Dorf, dass der Traumjörge zurückgekommen war mit seiner Prinzessin. Die Leute sagten, sie sei nichts Besonderes, klein und schmächtig. Ziemlich ärmlich sei sie auch angezogen. Wo solls denn am Ende auch herkommen. Er hat nichts, da wird sie auch nichts haben. So schwatzten die dummen Leute, denn sie konnten nicht sehen, dass es eine Prinzessin war. Und dass sich ihr Haus in ein Schloss verwandelt hatte, dass sahen die Leute in ihrer Einfalt auch nicht, denn es war eben ein unsichtbares Königreich, was dem Traumjörge vom Himmel herabgefallen war.

Er lebte mit seiner Prinzessin herrlich und vergnügt, ohne auf das dumme Geschwätz der Leute etwas zu geben. Und er bekam sechs Kinder, das waren alles Prinzen und Prinzessinnen. Keiner der Dorfleute wusste es, denn sie waren viel zu einfältig um es einzusehen.

AUTOR: Richard von Volkmann – Leander
NACHERZÄHLT: Heike Schubbert